Ich schlafe denkbar schlecht. In unserem Zimmer ist es viel zu warm und stickig, noch dazu sirrt mir eine Stechmücke ums Ohr. Ich ziehe kurzerhand die Bettdecke über den Kopf, was der Wärme, Stickigkeit und dem Weichspülerduft naheliegenderweise den Rest gibt.
Mein innerer Rhythmus lässt mich um 8 auf die Uhr leuchten. Wie üblich kriege ich einen Schreck. Ich sammle alles schnell zusammen und packe in einer Sofaecke vor der Küche. Der Rest meines Zimmers schläft noch tief und fest, kein Wunder bei den heruntergelassenen Rollos.
Unten auf der Straße ruft es plötzlich nach mir. Ich schaue zu unserem Zimmer hoch, aber Fehlanzeige. Ich laufe weiter, es ruft noch immer. Vermutlich hat mein Ohr eine schlechte räumliche Orientierung, ich brauche Ewigkeiten, um endlich am Ende der Straße zwei Pilger auszumachen, die mit ihren Stöcken wedeln. Es ist das schwäbische Pärchen, welches ich seit Gernika nicht mehr gesehen habe. Irgendwie ist es nett, sie wiederzusehen, und ich bin froh, mit jemandem über die Fährproblematik sprechen zu können. Sie sind überrascht, dass da nichts fahren soll. Ich mache wieder fröhliches Passantenkonsultieren, werde davon aber auch nicht richtig schlauer. Eine alte Frau meint „ja, ja“, da gäbe es eine Fähre, und ob die fährt, könnte ich doch am besten bei den Busfahrern erfragen. Ich stehe ziemlich direkt vor dem Busbahnhof, insofern eine gute Idee. Heike möchte erst noch einen Kaffee trinken gehen, sodass sich unsere Wege trennen.
Ein Bus nach Santoña lässt gerade den Motor an. Alles geht ein bisschen schnell. Am Einstieg steht unschlüssig ein bekanntes Gesicht, die kleine Pilgerin aus Orió. Ich frage gleichzeitig sie und den Busfahrer nach der Fähre. Sie möchte eh abkürzen, ob es nun eine Fähre hat oder nicht, ist ihr egal. Der Busfahrer guckt schon ungeduldig in den Rückspiegel, der nächste Bus fährt erst in einer Stunde. Ich kann überhaupt keinen klaren Gedanken fassen. Eigentlich wollte ich die Stunde am Strand von Laredo entlanglaufen, und falls es wirklich keine Fähre gibt, dann eben den Bus nehmen. Aber wie es aussieht, gibt es dort keine Haltestelle, ich müsste wieder die Stunde zurück zu diesem Busbahnhof oder ähnlich weit hinunter nach Colindres. So springe ich dann doch in letzter Minute an Bord, bin aber völlig zerrissen, als es mit dem schnellen Überlandbus die Straße entlang geht, an Caminomarkierungen vorbei. Für mich geht das einfach überhaupt nicht.
Kathrin sieht das viel entspannter. Sie ist bisher viel mit dem Bus unterwegs gewesen, ihr Camino endet übermorgen in Santander, und nachdem sie nicht gern läuft und manche Orte gerne sehen will, fährt sie halt immer wieder irgendeine Strecke. Dass ich seit Orió alles zu Fuß gelaufen bin (von den 15 km Metro hinter Bilbao abgesehen), versetzt sie in ungläubig bewunderndes Staunen. Generell ist sie mir heute um Welten sympathischer. Sie hat eine langsame, verträumte, etwas abwesende Art, die aber irgendwie gut passt.
Wir düsen eine halbe Stunde durch die Gegend, ich habe das Gefühl, dass ich hier den halben Camino verpasse. Ich tröste mich, dass wir eben einfach einen großen Bogen fahren müssen und ich wirklich nur den Strand von Laredo verpasse. Trotzdem finde ich erst einen gewissen Frieden, als ich im Führer von der Möglichkeit lese, direkt von Santoña den Monte Buciero zu umrunden. Mein Führer schreibt von spannenden Ausblicken auf die Küste und Waldpfaden durch dichte Steineichenwälder – und endlich einem Leuchtturm. Vor allem aber wäre ich mit diesen 6 km extra wieder quitt mit dem, was ich per Bus abgekürzt habe.
In Santoña steigen wir etwas orientierungslos aus dem Bus. Mit gelben Pfeilen passieren wir sonst mühelos selbst Großstädte wie Bilbao, aber ohne den Weg ist man selbst in kleinen Orten etwas aufgeschmissen. Für Kathrin frage ich in einer Bar nach der Richtung zum Camino (zum Glück, denn meine Intuition hätte genau in die Gegenrichtung geführt) und für mich nach dem Abzweig zum Monte Buciero. Der Barmann guckt mich finster an, nein, nein. Peligroso, gefährlich, schließlich hätte es doch geregnet, das könnte ich heute nicht gehen. Ich stehe etwa bedröppelt auf der Straße, irgendwie geht mir heute alles zu schnell. Der Mann hat sich aufgeführt, als wollte ich ein Lawinengebiet oder einen gerade ausbrechenden Vulkan durchqueren, eigentlich möchte ich doch nur einen ebenen Waldweg entlangtraben. Ich bin immer noch nicht ganz überzeugt, da kommt er nochmal extra aus der Bar heraus, um uns nochmal die Richtung zum Camino zu zeigen. Zu mir sagt er nochmal etwas freundlicher, dass ich wirklich besser da langgehe, er macht Zeichen, als ob nach einem Regenwetter da Äste und ganze Bäume vom Himmel fallen oder sich der ganze Berg steinschlagtechnisch abträgt. Na gut.

Ich bin durcheinander und auch noch nicht wirklich wieder in Pilgerstimmung. Es geht eine Straße mit wenig Pfeilen entlang, ich bin die ganze Zeit etwas unentschlossen und unsicher. Die kleine Kanadierin überholt mich mit einem verbissenen, kurz angebundenen „hola“ und ihrem typischen, schnellen Rascheln der aneinanderreibenden Regenhose.
In Berria führt der Weg parallel zum Strand entlang. Ich entschließe mich zu einem Abstecher ans Meer und lasse mich von den rauschenden Wellen wieder etwas erden.


Am Ende des Strandes geht es einen kleinen Hügel hoch – auf einem noch kleineren, lehmigen Weg. Zeitenweise muss ich mich ziemlich ducken bzw. sehr schmal machen, um mit meinem Rucksack zwischen den Felsen und Ästen vorbeizukommen.


Mit schöner Aussicht geht es zwischen gelbem Ginster, weidenden Ziegen und Blick aufs Meer in die Höhe, bis ich plötzlich auf dem lehmigen Untergrund ausrutsche. Ich kann mich im letzten Moment fangen, aber bin noch eine ganze Weile wie geschockt. Mit einem Mal überkommt mich eine Mischung aus Respekt und Angst, was diese Küstenwege angeht. Zwar trennen mich hier noch einige Meter, einige Ginsterbüsche (und einige Ziegen) vom Meer, trotzdem lässt mich der Gedanke, nochmal ausrutschen zu können, nicht los. Und ich bin dem Barmann sehr, sehr dankbar, mich von der geplantem Umrundung abgehalten zu haben.
Ich laufe sehr viel achtsamer mein lehmiges, glitschiges Weglein entlang und bin heilfroh, dass der Abstand zum Meer immer einige Meter bleibt. Nach ein paar Minuten ist der höchste Punkt schon erreicht – und gibt fast überraschend den Blick auf den langen Sandstrand von Noja frei. Trotz des verhangenen Wetters beeindruckend und gewaltig.

Auch hier gönne ich mir sicher wieder eine halbe Stunde nur am Übergang vom Strand zum Meer. Es windet wild, die Wellen rauschen, und außer ein paar Spaziergängern mit Hund in weiter Ferne bin ich komplett allein. Von zu Hause habe ich ein kleines Metalldöschen mitgenommen mit Asche von Dingen, die ich für andere und für mich hinter mir lassen will, deren Schicksal ich ein Stück weit in die Hände von Gott zurückgeben will. Ich hatte mir dafür eine Steilküste vorgestellt, habe aber nun hier in dieser Einsamkeit und mit diesem rauen Wind das Gefühl, dass es ein guter Ort ist. Die Asche ist eigenwillig, der Wind bläst sie statt aufs Meer auf den Sand, aber nachdem das Ganze hier eh ein einziger Kreislauf ist, kommt es darauf wohl auch nicht mehr an.
Der Strand von Noja erdet mich einmal mehr.


Der Ort Noja selbst dagegen ist verwirrend. Wie die meisten Sommerurlaubsorte wirkt er im Moment wie ausgestorben, es hat mehr „se vende“-Schilder als sonst etwas. Und auch wenig gelbe Pfeile. Anstatt wie sonst schlafwandlerisch zielstrebig unterwegs, stehe ich hier alle paar Meter dumm in der Landschaft. Ich konsultiere meinen Führer, der aber heute Unmengen von Varianten erwähnt, die mich irgendwie verwirren. Ich kann keinen Satz im Kopf behalten und stehe an der nächsten Kreuzung schon wieder ratlos. Auf einem Platz bin ich komplett verloren, das ganze „leicht links“, dann wieder „scharf rechts“ könnte überall sein. Ich probiere sicher drei Varianten von leicht links und scharf rechts und werde schon sowas von gereizt und übellaunig, dass ich am liebsten in das höhnische Tourismusbüro stürmen und die mal zur Schnecke machen würde, warum sie nicht in der Lage sind, manierliche Pfeile anzubringen.
Glücklicherweise findet sich dann doch irgendwann ein Weg. An einer Kreuzung mache ich zur Gemütsberuhigung erstmal ein frühes Mittagspäuschen. Eigentlich hatte ich auf einen Supermarkt in Noja gehofft; nun dämmert mir, das sich meine Vorräte in Grenzen halten. Ich vertilge sämtliches Brot mit Schinken und habe für den Nachmittag nur noch ein paar Snacks. Zum Glück soll es in Güemes ja Abendessen und Frühstück geben.
Irgendwie ist heute der Wurm drin, auch nach Noja finde ich nicht zu meiner gewohnten Caminosicherheit zurück. Ständig taucht eine Kreuzung ohne wirkliche Pfeile auf. Naheliegenderweise könnte man einfach geradeaus weiterlaufen, aber heute verunsichert mich jede Kreuzung. Wenn ich dann doch geradeaus laufe und nicht nach ein paar Minuten ein gelber Pfeil auftaucht, bin ich am Zögern, Stehenbleiben und fast schon wieder Zurückgehen. Vielleicht habe ich ja doch einen offensichtlichen Abzweig einfach übersehen. Ich will schon wieder an einer Stelle zurückgehen, als mich eine Spanierin von ihrem Balkon fast schon anschreit, wo der Weg langgehen würde. Sie schimpft, dass hier immer Pilger rumstehen und den Weg nicht finden würden. Da, da, da, geradeaus. Ich laufe los, stehe an der nächsten Kreuzung ohne Pfeile dann doch wieder unschlüssig. Aus gut 100m Entfernung höre ich die Spanierin erst recht noch schimpfen, warum diese blöde Pilgerin jetzt nicht einfach geradeaus läuft, sondern immer noch zögert. Zufriedener ist sie mit dem Paulo Coelho- Verschnitt, der ohne eine Miene zu verziehen zielstrebig geradeaus läuft. Ich bin fast froh, nicht mehr ganz allein im Nichts zu sein. Wegen eines Fotos bleibe ich zurück, um beim Weiterlaufen dann geradeaus Paulo zu sehen, nach rechts aber endlich mal wieder einen dicken, gelben Pfeil. Ich pfeife und rufe, aber er hört nichts. Ich habe ein etwas schlechtes Gewissen.
Ich laufe reichlich entnervt kleine Weglein mit sporadischen Pfeilen und sehr viel Ungewissheit entlang und bin eigentlich gerade etwas versöhnt, als ein Auto neben mir hält und mich eine schüchterne, freundliche Frau drauf aufmerksam macht, dass ich falsch bin. Die gelben Pfeile wären irgendwie weiter hinten. Ich laufe wieder ein paar Meter zurück, finde aber auch nichts Schlaues. Ich beschließe, einfach mal zur der Kirche vor mir zu gehen, die hat ja auch die temperamentvolle Balkonspanierin als Fernziel gezeigt. Paulo mit seiner neongrünen Rucksackhülle sehe ich auf der Autostraße ähnlich verloren vermutlich den gleichen Plan verfolgen.
An der Kirche hat es endlich mal wieder einen heimeligen Pfeil, danach schreibt dann aber selbst mein Führer moderat ermutigend, dass es „weglos über die Wiese“ geht. Ich rege mich ziemlich auf, wie soll ich denn bitte einen weglosen Weg finden. Irgendwo leitet dann ein hübscher, gelber Holzpfeil mit „Santiago“ wirklich deutlich mitten in eine Wiese, in deren Grün schon Paulo steht. Ich habe ziemlich die Krise, was ist das heute für eine schnapsideeliche Ausschilderung.
Wir entscheiden uns zu einem Querfeldeinschlag zu einer Straße hin, und nach einer Viertelstunde präsentiere ich Paulo jubelnd einen Pfeil an einem Ortsschild. Ab da wird es wieder einen Hauch von besser (und es gibt einfach weniger Abzweigungen). Ich habe immer noch meinen Führer hin der Hand und wühle mich abwechselnd durch den variantenreichen Textdschungel und die Landkarte, die allerdings auch vor roten und rotgestrichelte Wegen wimmelt. Vermutlich kann man heute überall rumstehen und auf „dem“ Camino sein.
Mir brummt der Kopf vor lauter „wir gehen rechts und gleich wieder links (oder links und gleich wieder rechts)“, und ich bin heilfroh, dass sich der Variantendschungel langsam, aber sicher seinem Ende zuneigt. Ich mache eine weitere Stehpause und esse meine Vorräte komplett auf, selbst eine Packung Tuc-Kekse, die ich bestimmt schon seit über einer Woche mit mir herumschleppe. Jetzt muss dann wirklich irgendwann die Herberge kommen.

Sehnsuchts- und hoffnungsvoll betrachte ich jedes Haus in der Ferne und versuche mich damit anzufreunden, dass das die sagenumwobene Herberge von Güemes ist. Ausnahmsweise teile ich die kritische Grundhaltung von Maike, dass solche Wunderherbergen ihr etwas suspekt sind. Leider geht es ohne Herbergsschild an zahlreichen möglichen Herbergen vorbei (und mir kommt langsam schon der erschreckende Gedanke, dass ich vielleicht schon vorbei bin). Irgendwann kommt dann doch eine Kreuzung, an der sich der gelbe Caminopfeil und der gelbe Alberguepfeil trennen. An einem Brunnen tanke ich nochmal Wasser und Energie für den letzten Aufstieg.

Wenn das einzelne weiße Haus, auf das ich zusteuere, wirklich die Herberge ist, übertrifft es meine bisherigen ambitionierten Herbergsmutmaßungen wirklich. Kurz vorher betrete ich noch eine Weide mit einem Haflinger-Pony, welches sich wie eine Statue nicht von der Stelle rührt und mich nur beobachtet. Vermutlich lacht es sich innerlich halb tot, nachdem ich das zweite Gatter zum Verlassen der Weide nicht aufbekomme. Ich zerre und schiebe und schlage minutenlang an dem Riegel herum, der Mechanismus ist mir eigentlich klar, aber ich bin einfach zu schwach. Ich spiele schon mit dem Gedanken, einfach drüberzuklettern, als ein südländisch aussehender kleiner Mann aus der Herberge kommt und mir lachend bei dem Riegel hilft. Mir ist das ja reichlich peinlich, aber glücklicherweise muss selbst er ein paarmal probieren.
Dann stehe ich in dem riesigen Raum der Herberge, zur Linken hat es Sitzpolster für gut 50 Leute, und an einem großen Holztisch vor mir sitzen zu meiner moderaten Freude schon die Kanadierin und der lustige Spanier aus Castro Urdiales mit seinem umtriebigen Macho, der natürlich gleich wieder bellend an mir herumspringt. Aber Macho macht der Schlauheit der Bordercollies alle Ehre und erkennt nach wenigen Sekunden, dass er mich schon kennt (und bestimmt schon eine halbe Nacht beschnüffelt hat, uah). Auch die Kanadierin ist heute erstaunlich gelöst und freundlich. Beide sitzen vor einigen Tellern am Essen. Der Hospitalero fragt mich, ob ich schon gegessen hätte. Ich bin unentschlossen, denn eigentlich habe ich um halb 12 ja wirklich theoretisch Mittag gegessen. Die Kanadierin greift hilfsbereit in mein langes Schweigen ein; vermutlich denkt sie, dass ich kein Spanisch verstehe, denn sie übersetzt mir, ob ich „hungry“ wäre. Das kann ich nun mit gutem Gewissen mit eifrigem Nicken bestätigen. Ich soll mich hinsetzen und auf das Essen warten.
Die beiden beenden gerade eine Art Hühnersuppe, um sich einem riesigen Teller voller Linsensuppe zu widmen. Ich bekomme ebenfalls ein Schälchen Hühnersuppe, die eine völlig andere Kategorie wie das Süppchen im Kloster von Zenarruza ist. Die Linsensuppe sieht auch mehr als lecker aus, und ich hoffe inständig, dass ich so einen Teller auch noch bekomme. Vielleicht muss ich einfach noch ein bisschen hungriger aussehen. Es klappt, ich bekomme eine wunderbare, dunkelbraune Pampe, die die Kanadierin auch gleich mit der Gabel statt mit dem Löffel isst. Drin sind diverse Fleischstücke versteckt, und es ist alles in allem einfach göttlich.
Während der Hospitalero draußen den eh schon sauberen Eingangsbereich fegt, kommt ein älterer Mann mit wallender, weißer Lockenpracht hereingeschwebt. Anhand seiner Aura vermute ich spontan, dass es sich um den vielgepriesenen Padre Ernesto handelt. Dieser ist moderat überschäumend freundlich. Er begutachtet uns und konstatiert, dass wir essen. Und fragt, ob es denn gut wäre. Hm hm. Dann beschließt er, ein Foto von uns zu machen. Ich bin erst recht moderat begeistert, habe ich doch Fotos nicht übermäßig gern, und erst recht nicht, wenn ich eine halbe Scheibe Baguette in der Backe habe. Ich darf das Resultat auf der Kamera begutachten, was soll ich dazu sagen. Ich sehe aus wie eine abgekämpfte Pilgerin mit Matschfrisur und Brot in der Backe. Meinen mäßigen Enthusiasmus deutet er dahingehend, dass er noch ein paar weitere Bilder von mir beim Essen machen soll. Hilfe. Eines seiner Werke entlockt seinem regungslosen Gesicht dann aber direkt einen Hauch von wohlwollendem Lächeln. Er tätschelt mir die Schulter und schlurft wieder hinaus. Ich bin etwas verunsichert.
Ein lustiger Mann mittleren Alters mit einem riesigen Hund kommt zu Besuch. Mein erster Gedanke bezüglich des Hundes ist „kalbsgroß“, aber selbst das wäre untertrieben. Das Tier sieht aus wie eine Mischung aus Golden Retriever und einer ausgewachsenen Kuh- und ist noch ein ganz kleiner, noch nicht einmal ein Jahr, wie der Spanier lachend erklärt. Er lacht sich erst recht halb tot, als ich frage, ob er denn noch größer wird, ja, und wie. Ich frage, ob er ein großes Haus hätte. Er lacht und meint, ja, und macht eine weitausholende Geste über die Herberge. Vom Temperament hat das gute Hundchen viel von der Kuhlinie geerbt, trotz Größe habe ich nicht einmal wie üblich Angst. Was allerdings gar nicht geht, ist die Zusammenführung mit Macho. Beide jungen Männchen bekläffen sich wie wild (wobei einem bei dem Kalb schier die Ohren abfallen). Sämtliche Erklärungen und erzieherischen Maßnahmen der Herrchen schlagen fehl, das Kalb muss zur Wahrung des Lärmpegels vor die Tür. Dort tröstet ihn sein Herrchen, indem er sich zu ihm auf den Boden kniet. Auf gleicher Kopfhöhe schlabbert ihm der Hund dann mit seiner riesigen Zunge sabbernd quer durchs Gesicht – und das Herrchen lacht sich dabei wie üblich glücklich halb tot.
Nachdem wir (bzw. aktuell ich) fertiggegessen haben, dürfen wir bei einer lateinamerikanisch anmutenden jungen Frau einchecken und werden dann vom Hospitalero zu den Schlafräumen geleitet. Ich bin überaus erleichtert, dass Macho ein Extrazimmer im Erdgeschoss bekommt und die Kanadierin gleich mit dort logieren will. Ich werde eine Etage höher geführt, wo mir sofort wieder die Mail von Patrick in den Sinn kommt, dass ich unbedingt nach Güemes müsste und die dreistöckigen Betten sehen. Nachdem mich die letzten dreistöckigen Betten in Deba nicht direkt mit grenzenlosem Enthusiasmus erfüllt haben, habe ich keine allzu hohen Erwartungen.
Das Zimmer hier ist aber der Hammer, es hat endlos viel Platz, die Matratzen sind hübsch blau überzogen, und die Art von Stockbetten erinnert mich an einen Kindheitstraum von einem Heuschober, bei dem man von hohen Holzbalken springen kann. Ich liebäugle wirklich mit dem obersten Stockbett, entscheide mich dann angesichts meines vielen Krimskrams aber doch für ein ebenerdiges. Bzw. eigentlich belege ich gleich zwei. Irgendwie sind die liebevoll angefertigten Einbaubetten nicht für Pilger über 180 cm konzipiert.

Während Machos Herrchen fröhlich am Duschen ist, macht Macho derweil die Damenwaschräume unsicher und stellt sich höchst begeistert daneben, als ich Wäsche waschen will. Ich lasse gerade heißes Wasser mit Duschgel in die riesigen Waschbecken, als er mir schier hineinspringt. Ich habe es nicht so mit Hundekommunikation. Er lauscht zwar gespannt meinen Ausführungen, dass das gar nicht gut für ihn zum Trinken ist, springt aber sofort wieder nach dem Wasserhahn, sobald ich das Wasser wieder andrehe. Ich verschiebe das Unternehmen Wäschewaschen zugunsten von Macho Wässern. An einem zweiten Hahn mit kaltem Wasser überbrücke ich mit beiden Händen so weit, dass Macho auf zwei Beinen und sehr langer Zunge schlabbernd zu seinem Getränk kommt. Ich bin sehr dankbar, dass er mich nicht irgendwie beißt, in den Trog springt und auch soweit durstgestillt ist, bevor mir von dem kalten Wasser die Hände abfrieren.
Die Herberge füllt sich nun schlagartig. Außer dem älteren, spanischen Paar trifft Kathrin ein sowie Chrissie und Maike. Ich habe wohl Glück gehabt, gerade noch zur erweiterten Mittagessenszeit (gegen 16.00) eingetroffen zu sein, für die aktuellen Neuankömmlinge gibt es nur noch Kekse. Die beiden Spanier logieren ebenfalls in meinem Zimmer, und wie sich herausstellt, sind sie heute morgen mit der Fähre gefahren. Ich bin überrascht, dass sie nun doch gefahren ist. Sie bestätigen, dass die Touristeninformation gesagt hätte, dass nicht, aber sie hätten irgendwo angerufen. Und den positiven Bescheid auch Miguel gestern am frühen Abend noch mitgeteilt. Dieser hätte mit ihnen dann auch ganz brav die erste Fähre um 9 genommen. Ich bin etwas sprachlos. Zum einen ärgere ich mich grün und blau, nun die schöne Fährüberfahrt verpasst zu haben (und ganz umsonst ein weiteres Mal gemogelt zu haben), zum anderen bin ich ungläubig wütend auf Miguel, der demnach gestern Abend definitiv schon wusste, dass doch eine Fähre fahren würde. Ich bekomme das Ganze digital nachgezeigt. Plötzlich kommt mir auch ein schlechtes Gewissen bezüglich der beiden Schwaben, ich hoffe, dass sie auch auf der Fähre waren und nun nicht wegen meiner Fehlinformation auch den Bus genommen haben. Nein, die wären nicht auf der Fähre gewesen, nur der Deutsche, so ein älterer mit einem charakteristischen Gang, und eben diese Deutsche mit dem Hund. Lauter Deutsche, die ich beim besten Willen noch nie gesehen habe.
Vor den Waschräumen läuft mir dann zumindest besagter Hund entgegen, zu meiner Erleichterung guckt er genauso verunsichert wie ich. Die Frau, die danach um die Ecke kommt, lacht herzlich, als ich konstatiere, dass sie dann wohl die Deutsche mit Hund wäre. Deutsch wäre sie, aber als „die Deutsche mit Hund“ geht eine andere durch.
Ich bin ziemlich angetan von diesem unerwarteten Pilgertrubel und setze mich in dem großen Raum abwartend an einen wunderbaren, offenen Kamin, während Miguel und Paulo eintreffen sowie sehr spät die Koreanerin, die ja eigentlich schon gestern nur 20 km laufen wollte. Ich bin fröhlich begeistert. Sie guckt mich an, macht eine halsabschneidende Handbewegung und krächzt tonlos „I am dead!“. Dead, aber extrem beachtlich am Laufen.
Ich flechte mein zweites Bändel, während mich das offene Feuer toll durchwärmt. Der Mann mit Hund schaut alle Viertelstunde nach dem Rechten, legt tonnenweise Holz nach und unterhält alle strahlend lachend. Auch der Weißhaarige kommt ab und zu vorbei, allerdings verzieht er meist keine Miene, was mich wie üblich etwas verunsichert. Kathrin belehrt mich, dass der Mann mit Hund Padre Ernesto wäre. Ich favorisiere intuitiv definitiv den Weißhaarigen, aber jeder Pilger hat eine andere Theorie. Dafür halte ich den Mann mit Hund intuitiv für den Sohn des Padre. Glücklicherweise behalte ich diese Intuition für mich. Ein paar Momente später dämmert mir, dass diese Idee nicht allzu intelligent ist in Anbetracht der Tatsache, dass der Padre ja ein katholischer Priester ist.

Ich knüpfe vor mich hin, während ich den interessanten (rein deutschen) Konversationen rund um das Kaminfeuer lausche. Die besagten Deutschen sind nun auch eingetroffen. Die Besitzerin der schüchternen Hündin, die eine Mischung aus Husky und Wolf oder Fuchs zu sein scheint, hat sich wohnungslos auf die Reise gemacht, nachdem sie vor ein paar Jahren schon einmal mit einem VW-Bus durch die Welt gereist ist. Momentan tun ihr die Füße weh, ihr Rucksack samt Zelt ist viel zu schwer, und eigentlich wollte sie eh auf den Hauptweg. Allerdings haben sich nach der Zugfahrt nach Spanien die Busfahrer geweigert, ihren Hund zu transportieren. So ist sie kurzentschlossen auf dem Camino del Norte geblieben. Während sie recht verzweifelt wirkt, ist ihre temporäre Weggefährtin ein quasselnder und sprudelnder Jungbrunnen. In wildestem bayrisch-hessischen Dialekt legt sie uns fröhlich plappernd ihr halbes Leben dar, unter anderem, dass sie letztes Jahr überraschend ihren Mann verloren hat und dann so durch den Wind war, dass gar nichts mehr ging. Sie ist dann den Camino Frances gelaufen, und der hätte sie so wunderbar gestärkt, dass sie jetzt einfach nochmal zurückkommen musste. Wunderbar gestärkt und voller positiver Energien wirkt sie wirklich. Ich bin mechanisch vor mich hinknüpfend fasziniert, zum einen von dieser Lebensfreude, zum anderen von dieser Offenheit. Mir wird bewusst, wie meilenweit ich von so etwas entfernt bin. Wie auch jetzt hülle ich mich meistens in ein schüchtern lächelndes Schweigen. Jede weitere Chrissie in meinem Leben macht mir nur noch deutlicher bewusst, dass meine Motivation nicht jeder versteht. Erklären kann ich sie schwer – und ich will es auch einfach nicht.
So bin ich dann doch etwas überrascht, dass der ältere Deutsche, der neben mir sitzt, allein durch sein stilles Sitzen irgendwie meinen Schutzwall zu durchdringen vermag. Er erzählt mir von seinen Pilgererfahrungen, und ich bin erstaunlich offen und fühle mich wohl. Zwischen seinen einfachen Sätze schwingt recht viel „Pilger“ mit, sodass ich mit einer einfachen Bejahung und einem zustimmenden Lächeln viel von meiner Pilgermotivation teilen kann. Vielleicht fühle ich mich auch deswegen so wohl, weil ich hier zum ersten Mal auf erfahrene Pilger stoße, bzw. einfach Menschen, die schon mal etwas von der Faszination des Caminos erlebt haben und nicht nur den schönen Weg genießen. Beziehungsweise ich bin sicher, dass die wunderbare Herberge einen großen Teil dazu beiträgt, denn aus ihr strömt mit jedem Detail, mit jedem wärmenden Holzscheit, liebevoll geschreinerten Bett, leckeren Essen, mit jedem ruhigen Pferd, kalbsgroßen Hund, lachenden Mann, umsorgenden Hospitalero und Padre einfach ganz, ganz viel Camino. Wunderbar, bewegend und magisch, nun doch noch.
Um 8 werden wir in die Bibliothek gebeten, wo wir erst um einen Tisch sitzen und Stapel von laminierten Fotos anschauen. Manche zeigen Gruppen, manche völlig durchschnittliche Pilger mit einer kurzen Geschichte, manche beeindruckende Pilger. Mich berühren die Collagen über Langstreckenpilger mit vielen tausend Kilometern in den Beinen, Familien mit kleinen Kindern und eine afrikanische Frau mit lustigen Perlenzöpfchen. Etwas weniger wohlig wird mir bei der Vorstellung, dass der Padre nächste Woche eifrig eine ähnliche Collage bastelt mit einer zerzausten Pilgerin mit Hamsterbacken und Baguettekrümeln beim Suppe-Essen.
Danach sollen wir uns alle vor einer Landkarte versammeln. Padre Ernesto kündigt uns für die nächste Stunde einen Vortrag an über den Camino, die Strecken, die wir vor und hinter uns haben, sowie über die Herberge und ihre Geschichte. Die Kanadierin macht die Übersetzerin. Wir lernen über die karitativen Projekte und die Hilfe von zahllosen Freiwilligen in dieser Herberge, allein 70 Leute aus der Umgebung helfen lachend und strahlend. Der Padre beleuchtet kritisch die Gefahren des Eukalyptusanbaus und der vielen Straßen sowie des Sommertourismus. Die Kanadierin übersetzt sehr talentiert und lustig, zumal der Padre sich manchmal minutenlang in seinen Gedanken verliert und die Arme vermutlich ein ganz rotierendes Hirn bekommt. Nachdem ich sowohl sein Spanisch als auch ihre englische Übersetzung verstehe, erhalte ich auch Einblicke in ihre ähnlich sorgsam versteckte Pilgermotivation. Manchmal dichtet sie strahlend einen Caminoenthusiasmus dazu, den der Padre so gar nicht erwähnt hat.
Ich bin komplett fasziniert von der Ausstrahlung von Padre Ernesto. Im Gegensatz zu dem strahlenden Umarmungsmönch von Zenarruza ist er weit weniger herzlich und verzieht auch nie eine Miene zu einem Lächeln. Uns wird fast schon ein wenig unwohl, als er mit versteinerter Miene erklärt, dass diese Herberge nun wirklich keine Pilgerherberge wäre, schon seit 100 Jahren bestehen würde und der erste Pilger gerade einmal vor 13 Jahren hier aufgetaucht wäre. Sie wäre offen für alle Arten von Menschen und Gruppen und Interessensgemeinschaften. Das stolze und glückliche Pilgerkollektiv schaut etwas eingeschüchtert und bedröppelt aus der Wäsche.
Danach erklärt er uns noch die kommenden Etappen. Morgen hätte es zwei Wegalternativen, die wir aber beide nicht nehmen sollten, sondern einen kleinen Umweg direkt an der Küste entlang. Wir nicken alle sehr ernsthaft und versuchen, uns die entsprechenden Abzweigungen zu merken. Fernab der Markierungen zu laufen gehört zwar definitiv nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, Steilküste 70 m über dem Meer ist aber definitiv mein Ding. Und sein Umweg sieht auf der Karte auch wirklich idiotensicher aus. Die Etappe einen Tag später mit über 45 km entschärft er auch gleich, es gäbe eine gangbare Abkürzung, bei der man gleich 5 km sparen könnte, indem man verbotenerweise über eine Eisenbahnbrücke geht. (Ich bin mal wieder so beeindruckend informiert, dass ich von dieser beunruhigend langen Etappe gar nichts weiß.) Die ganz Schlauen würden warten, bis der Vorortzug alle 20 Minuten durch wäre – und die ganz Ängstlichen würden einfach direkt den Vorortzug nehmen. Da hebt sich selbst beim Padre für ein paar Sekunden ein Mundwinkel.
Um 9 geht es dann endlich in den Speisesaal. Die erste Suppe kenne ich in ähnlicher Form schon, danach gibt es noch einen leckeren Kartoffeleintopf. Wir bekommen die kolumbianische Köchin, ihren Bruder und ihren Mann vorgestellt, die aktuellen guten Seelen der Herberge. Padre Ernesto erzählt zwischendurch von seinen Arbeitseinsätzen in den Fabriken und Minen Lateinamerikas, alles ist einfach zutiefst beeindruckend.
Mir gegenüber sitzt ein Mann, der mir erst nach der Bibliotheksstunde aufgefallen ist und der kein Pilger zu sein scheint. Irgendwie erinnert er mich an den zu groß geratenen Hund. Er ist auch riesengroß, ohne wirklich beängstigend zu wirken. Aktuell wirkt er ein wenig unbeholfen in unserer Pilgermeute, die ja größtenteils auch noch munter deutsch plaudert. Nachdem er sich das Essen über gepflegt auf Englisch mit der in England lebenden Kathrin unterhalten hat, stehe anschließend ich auf dem Programm. Er kommt aus Salamanca, was mich natürlich sofort in Via de la Plata-Verzückung versetzt. Zu meiner Enttäuschung ist er als guter Spanier aber weder die Via noch sonst irgendeinen Camino jemals gepilgert. Wir kommen auf Berufe zu sprechen, er ist Musiker, Pianist, um genau zu sein. Das haut mich ziemlich vom Hocker, irgendwie hätte ich seinem Erscheinungsbild und seinen riesigen Pranken eher Schlachter oder Holzfäller zugeordnet. Während er bei näherer Betrachtung nicht einfach nur unwohl, sondern auch ziemlich traurig aussieht, bekommen seine Augen ein unglaubliches Strahlen, wenn er von einem Klavier spricht. Ich frage, ob er denn auch privat gern spielt, wenn er es doch den ganzen Tag schon beruflich macht. Natürlich, er strahlt, jede freie Minute. Es wäre seine Passion. Ich bin beeindruckt und nachdenklich. Nichts gegen meinen Job, aber derart begeistert könnte ich wohl höchstens den Camino als meine Passion bezeichnen. Wir unterhalten uns rein auf Spanisch, was mal wieder davon erschwert wird, dass ich es nie richtig gelernt habe. Noch dazu nuschelt der Herr Pianist für seinen Größe ziemlich schüchtern vor sich hin. Ich versuche zu rekonstruieren, ob er nun also in Salamanca Klavier spielt. Nein, er wäre Pianist auf den kanarischen Inseln gewesen. Ich bin etwas verwirrt und verstehe nicht, warum er nicht mehr Klavier spielt, wenn es doch so seine Passion ist. Ich mutmaße Geld- oder Stellenmangel, nein, nein. Ich frage immer weiter und verstehe immer weniger. Seine genuschelte Begründung verstehe ich auch ewig nicht, bis er mir die fünften Wiederholung schon fast entgegenbrüllt. „Chica“ verstehe ich dann sogar mit meinem rudimentären Spanisch. Seine gute Angebetete findet Pianist keinen manierlichen Beruf, und nachdem sie in England lebt, ist er mit Salamanca dann in eine mittlere Nähe gezogen. So ganz sympathisch ist mir so ein Drache, der ihm sein geliebtes Klavier verbietet, nun nicht gerade, aber wenigstens habe ich die komplizierten Zusammenhänge endlich verstanden. Ich schließe, dass sie demnach jetzt zusammen in der goldenen Mitte von England und kanarischen Inseln in Salamanca leben, und frage, ob er nun hier auf Urlaub ist. Nein, er würde hier in der Nähe wohnen, nur ein paar Kilometer weg. Und nachdem er mit dem Padre irgendwie verwandt ist, kommt er hier abends oft zum Essen (was ich sehr gut verstehen kann). Wieso er jetzt hier und nicht in Salamanca wohnt, verstehe ich dagegen schon wieder rein gar nicht. Auch akustisch und Spanisch stehe ich schon wieder auf dem Schlauch, sodass er mir auch schon wieder quer über den Tisch „no hay chica!“ entgegenbrüllen muss. Das zieht mir jetzt (obwohl ich ihn eigentlich nicht kenne) den Boden unter den Füßen weg. Die Lady hat ihn nicht nur umziehen und Beruf wechseln lassen, sondern ihn dann nach drei Jahren auch noch verlassen. So wunderschön begeistert, wie seine Augen strahlen können, können sie nun auch zu Boden zerstört und enttäuscht schauen. Mit einem Mal verstehe ich seinen rundum traurigen Gesamteindruck, und es berührt einfach kolossal mein Herz.
Wir haben plötzlich eine gewisse Herzverbindung, und unser anschließendes Gespräch über Berufe, Passionen, Caminos und Suchen im Leben ist beeindruckend. Nicht nur, dass wir uns ohne jemals nochmal nachfragen zu müssen und ohne, dass ich jemals nach Worten suchen müsste, in einer Sprache unterhalten, die ich eigentlich gar nicht kann. Ich kann plötzlich ohne jegliche Vorsichtswälle über meine Caminobegeisterung, meine Zweifel und Suchen reden. Er lächelt dazu verstehend mit seinen traurigen Augen. Mir zerfließt das Herz, wenn er von seiner Klavierbegeisterung erzählt, und er versteht jeden meiner verrückten Caminogedanken.
Diese Herberge hat definitiv etwas ganz und gar Besonderes. Ich schaffe es über eine Woche nicht, jemandem auch nur zu erzählen, dass ich schon einmal einen Camino gelaufen bin. Und kann mich bei dem einzigen Menschen weit und breit verstanden fühlen, der noch nie auch nur einen Schritt als Pilger gemacht hat.
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